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Lärm in der Rechtsprechung des Amtsgerichts München (Teil 1) - Sozialadäquater Lärm im Wohnhaus ist zu dulden (Anmerkungen zum Urteil vom 12.07.2019, Az. 283 C 1132/17)

In einem Mietshaus, einer Wohnungseigentums- oder Reihenhausanlage wird es immer irgendwelche Geräusche geben. Es lässt sich deshalb rechtlich kaum jemals die vollständige Ruhe erzwingen. Umgekehrt gibt es natürlich auch kein Recht auf rücksichtsloses Lärmen.

Bei der rechtlichen Bewertung von Lärm in einer Immobilie oder Nachbarschaft lassen sich grob zwei Kategorien unterscheiden.

Einmal gibt es den Lärm für dessen Vermeidung technische Anforderungen gelten. Hierunter fällt der generelle bauliche Schallschutz (z.B. Trittschall, Luftschall) sowie der anlagenbezogenen Schallschutz in Bezug auf haustechnische Anlagen (z.B. Aufzugsgeräusche, klopfende Heizung, Leitungsgeräusche, Wärmepumpen, etc.).

Diese Kategorie lässt sich rechtlich einigermaßen sicher zuordnen und bewerten. Es gibt entsprechende technische Vorschriften und Grenzwerte, die einzuhalten sind.

Schwieriger in den Griff zu kriegen ist die zweite Kategorie von Lärm, nämlich der Lärm, der dadurch verursacht wird, dass in der Immobilie Menschen wohnen und dieses Wohnen zwangsläufig Geräusche auslöst (sozialadäquater Lärm). Wenn in dem Wohnhaus berufstätige Familien mit Kindern wohnen, dann wird es im Wohnhaus ab 6 Uhr morgens lauter werden. Der Gang zur Arbeit, zum Kindergarten und zur Schule steht an. Kommen die Kinder dann von der Schule und die Bewohner von der Arbeit zurück, dann kann es im Treppenhaus sicherlich lauter werden, unabhängig davon, ob im Haus eigentlich offiziell noch Mittagsruhe ist, etc.

Die Kategorie des sozialadäquaten Lärms ist rechtlich wesentlich schwieriger einzuordnen. Es gibt keine direkt anwendbaren technischen Grenzwerte und in rechtlicher Hinsicht ist ein erheblicher Bewertungsspielraum eröffnet. Viele Streitigkeiten vor Gericht drehen sich deshalb um die Frage:

Was ist noch sozialadäquat (und damit zu dulden) und ab wann überschreitet die Geräuschkulisse das sozialadäquate Maß (und ist damit nicht mehr zu dulden)?

In diesem Kontext ist das Urteil des AG München vom 12.07.2019, Az. 283 C 1132/17, zu sehen.

Bei dieser Entscheidung geht um ein Mietshaus, welches im Jahr 1962 erbaut wurde. Die Kläger wohnten direkt unter den Beklagten, einem Ehepaar mit zwei Kindern (14 und 16 Jahre alt).

Der Vorwurf der Kläger lautete: Es würden Geräusche verursacht, die in der Wohnung der Kläger zu hören sind. Es würde auch während der Mittags-, der Nacht- oder der Feiertagsruhe herumgerannt und herumgetrampelt werden. Türen wurden hörbar zugeschlagen.

Belegt wurde dieser Vorwurf mit einem über drei Monate von den Klägern geführten Lärmprotokoll, in welchem sich nahezu täglich bis zu acht Eintragungen über Lärmen und Poltern vor allem in den Nachmittags- und Abendstunden bis spätestens 22.30 Uhr finden. (Störungen zwischen 22.00 Uhr und 22.30 Uhr traten aber ausweislich der Urteilsbegründung nur vereinzelt auf.)

Die Beklagten bestreiten diese Vorwürfe. Der Beklagte ist Kraftfahrer und arbeitet von 7 bis 22 Uhr, seine Ehefrau arbeitet von 7 - 16 Uhr und die Kinder sind in der Regel in der Schule von 7 - 17 Uhr.

Das AG München hat sodann entschieden, dass jedenfalls bei einem Mietshaus mit einem Schallschutzstandard aus dem Jahr 1962 mit dem Auftreten von Geräuschen aus der darüber liegenden Wohnung zu rechnen ist und die aus der Wohnung der Beklagten tretende Geräuschentwicklung das nicht mehr hinnehmbare sozialadäquate Maß nicht überschreitet. Die Klage wurde deshalb abgewiesen.

Fazit: Sozialadäquater Lärm ist zu dulden. Bei einem älteren Wohnhaus kann kein moderner Standard der Geräuschdämmung erwartet werden. Mit dem Auftreten von Geräuschen aus einer anderen Wohnung ist deshalb zu rechnen. Auch vereinzelte Geräusche von Kindern in den Ruhe- und Nachtzeiten (jedenfalls in der Zeitspanne bis 22.30 Uhr) können dabei zu dulden sein.

Interessant ist in diesem Zusammenhang noch, dass die Kläger offenbar Berufung gegen dieses Urteil des AG München eingelegt hatten. Hierbei wurde auf Kosten der Kläger eine Dauerlärmmessung über 14 Tage durch einen Sachverständigen vorgenommen. Die Kosten des Sachverständigen betrugen dabei sagenhafte EUR 8.440,10 (!). Das Ergebnis der Messung war sodann, dass die Trittgeräusche der Beklagten nicht ungewöhnlich hoch waren und "lediglich" einen Lärmpegel zwischen 22 - 33 dB(A) verursachten. Gehgeräusche zwischen 30 - 40 dB (A) sind dabei als normal anzusehen. Hieraufhin wurde die Berufung von den Klägern zurückgenommen.

(eingestellt am 17.09.2019)

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