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Beendigung des (zivilrechtlichen) Gerichtsverfahrens durch Vergleich - eine Frage von Prozessrisiko, Zeitfaktor und natürlich der Kosten -

Das Gericht in Zivilsachen ist nach § 278 Abs. 1 ZPO verpflichtet, in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Belegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht zu sein. Den Parteien des Rechtsstreits steht es natürlich trotz der Pflicht des Gerichts zur "Förderung einer Einigung durch die Parteien" frei, sich nicht mit der Gegenseite einigen zu wollen und auf einer streitigen Entscheidung des Gerichts zu bestehen.

Nicht jedes Verfahren eignet sich für einen Vergleich

Es sind auch nicht alle rechtlichen Auseinandersetzungen "einigungsfähig". Bei Zahlungsansprüchen ist eher eine Einigung vorstellbar als bei Handlungs-, Herausgabe- oder Unterlassungsansprüchen. In vielen Fällen kann es auch sinnvoll sein, trotz Einigungsmöglichkeit auf der Durchsetzung des "Prinzips" zu bestehen; das kann der Fall sein, wenn (nur) eine rechtliche Grundproblematik zu entscheiden ist oder wenn ein Entgegenkommen im Rahmen einer Einigung das Zeichen für die Gegenseite wäre, dass sich die Verletzung oder Nichterfüllung von Pflichten per Saldo "lohnt" und damit der nächste Streit vorprogrammiert ist - frei nach dem Motto: "mit dem kann man es ja machen".

Überlegungen Pro und Contra

Spätestens wenn das Gericht nach § 278 Abs. 1 ZPO eine Einigung anregt, sollte man die Aspekte Prozessrisiko, Zeitfaktor und Kosten durchdenken:

Prozessrisiko

Das Gewinnen oder Verlieren eines Gerichtsverfahrens hängt von vielen Faktoren ab. Geht es um Fragen, über welche erst noch Beweis erhoben werden muss (z.B. Zeugen, Sachverständige) stellt sich neben der Frage nach der Beweislast, die Frage danach, ob sich die aufgestellte Behauptung auch tatsächlich beweisen lässt.

Aussagen eines Zeugen können vom Gericht als unglaubwürdig bewertet werden, wenn das Verhalten des Zeugen in der mündlichen Verhandlung hierfür Anlass gibt (z.B. Verunsicherung des Zeugen bei Rückfragen des Gerichts oder des Prozessgegners). Über vergangene Erlebnisse kann sich aufgrund Zeitablaufs jeder Mensch nur noch eingeschränkt erinnern, so dass Lücken oder Widersprüche in der Aussage eines Zeugen nicht selten sind.

Auch Sachverständigengutachten sind nicht unproblematisch. Soweit man nicht bereits durch eigene Gutachten eine gewisse Tendenz in der Bewertung prognostizieren kann, ist das Ergebnis des gerichtlichen Sachverständigen in der Regel schwer abzuschätzen. Das Sachverständigengutachten entspricht nicht immer dem, was man sich erhofft und das Ergebnis ist oft unbefriedigend oder wirft manchmal mehr Fragen auf, als es löst.

Was für das sog. Beweisrisiko gilt, gilt auch für rechtliche Wertungen. Ob z.B. etwas „treuwidrig“ ist, ob ein „wichtiger Kündigungsgrund“ vorliegt, ob etwas „nicht mehr zumutbar“ ist, etc. obliegt der richterlichen Wertung. Was die eine Gerichtsinstanz „gerade noch als gegeben“ erachtet, mag eine andere Gerichtsinstanz „als gerade nicht mehr gegeben“ erachten.

Zeitfaktor

Das Verfahren kann durch einen Vergleich im Verhandlungstermin beendet werden und es wird ein unter Umständen langwieriges, weiteres Verfahren vermieden. Müssen erst noch Zeugen einvernommen oder Sachverständigengutachten eingeholt werden, können sich Gerichtsverfahren je nach Umfang erheblich in die Länge ziehen. Mit einem Urteil ist das Verfahren auch nicht zwangsläufig zu Ende. Legt der Unterliegende Rechtsmittel ein, können sich Gerichtsverfahren über Jahre hinziehen.

Kosten

Das gerichtliche Verfahren - allerdings auch die Einigung - kostet Geld.

Müssen im gerichtlichen Verfahren vom Gericht nur Rechtsfragen entschieden werden, fallen also nur Gerichts- und Anwaltskosten an, steht die vergleichsweise Einigung allein zum Zweck der Kostenminimierung nicht ganz so im Vordergrund (es sei denn, dass sich herauskristallisiert, dass man auf verlorenem Posten steht und bei Nichteinigung das Verfahren verlieren wird).

Anders ist die Situation, wenn erst noch Beweis erhoben werden muss. Müssen Zeugen vernommen werden, sind Zeugenauslagen zu erheben. Müssen Sachverständige eingeschaltet werden, wird es richtig teuer. Ist die Partei rechtsschutzversichert, mag der Kostenaspekt für einen Vergleichsabschluss nicht ganz so ausgeprägt sein. Ist die Partei dagegen nicht rechtsschutzversichert, dann darf man die Kosten bei Verfahren mit umfangreicher Beweisaufnahme definitiv nicht aus den Augen verlieren.

Wer das gerichtliche Verfahren verliert, hat die Prozesskosten zu tragen. Bei einem teilweisen Obsiegen/Unterliegen werden die Prozesskosten entsprechend „gequotelt“. Die etwaigen Vorteile eines Vergleichs bei den Kosten darf an folgendem Beispiel erläutert werden:

Ausgangsbeispiel:
Die gerichtlich durchzusetzende Forderung des Klägers beträgt 5.800,00 EUR. Es sind zwei Zeugen zu vernehmen, einmal ein Zeuge des Klägers und einmal ein Zeuge des Beklagten. Die Zeugenauslagen (Zeitausfall, Anfahrtskosten) betragen jeweils 200,00 EUR. Außerdem muss ein Sachverständigengutachten eingeholt werden. Die Kosten des Gutachtens belaufen sich auf 2.500,00 EUR. Die gesamten Kosten des Gerichtsverfahren (Gebührenordnungen Stand 2021) belaufen sich in diesem Beispiel also auf insgesamt 5.814,10 EUR (2.914,10 EUR Gerichts- und Anwaltskosten + 400,00 EUR Zeugenauslagen + 2.500,00 EUR Sachverständigenkosten) und sind von demjenigen zu tragen, der das Verfahren verliert.

Variante 1 (Urteil):
Das Gerichtsverfahren wird durchgeführt und der Kläger bekommt nur 3.480,00 EUR (= 60% der Forderung) vom Gericht durch Urteil zugesprochen. Der Kläger ist also zu 40% unterlegen. Dann trägt der Kläger auch 40 % der Verfahrenskosten (einschließlich der eigenen Anwaltskosten). Dies wären im obigen Beispiel 2.325,64 EUR. Der Kläger hat damit per Saldo "nur" 1.154,36 EUR (3.480,00 EUR Hauptforderung ./. 2.325,64 EUR Kostenanteil) gewonnen. Der Beklagte müsste Kosten von 3.488,46 EUR (=60% der Verfahrenskosten) tragen; er hat damit an den Kläger insgesamt 6.968,46 EUR (3.480,00 EUR Hauptforderung zzgl. 3.488,46 EUR an Kosten) zu bezahlen.

Variante 2 (Vergleich):
Hätte man gleich in der ersten mündlichen Verhandlung einen Vergleich in Höhe von 3.480,00 EUR mit der Kostenverteilung 60:40 geschlossen, dann hätten sich im obigen Beispiel die Kosten von 5.814,10 EUR auf 3.478,30 EUR reduziert. Es wären keine Kosten für Zeugen und Sachverständigen angefallen und die Gerichtskosten hätten sich um 2/3 vermindert, die Anwaltsgebühren erhöhen sich bei einem Vergleich dagegen von jeweils 1.184,05 EUR auf 1.648,15 EUR. Der Beklagte würde deshalb bei einem Vergleich nur Kosten von 2.093,08 EUR statt 3.488,46 EUR tragen und der Kläger nur Kosten von 1.391,32 EUR statt 2.325,64 EUR. Der Kläger hat damit per Saldo 2.088,68 EUR (3.480,00 EUR ./. 1.391,32 EUR) gewonnen; er hat also ca. 900,00 EUR mehr erhalten als im Fall eines Urteils. Und der Beklagte müsste nur 5.805,64 EUR (3.480 EUR Hauptforderung zzgl. 2.093,08 EUR Kosten) bezahlen, also ca. 1.100,00 EUR weniger als im Falle eines Urteils.

Anmerkungen:
(1) Der Kläger wäre im obigen Beispiel selbst bei einem Vergleich mit einer "schlechteren" Quote von 50:50 fast genauso erfolgreich gewesen wie mit der "höheren Gewinnquote" zu seinen Gunsten im Urteil von 60:40 (!).
(2) In der Variante 1 (Urteil) muss das gerichtliche Verfahren mit dem Urteil noch nicht zu Ende sein. Beide Parteien können Berufung einlegen. Dies bedeutet, dass weitere Gerichts- und Anwaltskosten anfallen und investiert werden müssen.
(3) Im Nachhinein rechnet es sich natürlich einfach. Wüsste man im Vorfeld, dass es per Urteil nur 60:40 ausgeht, würde man sinnvollerweise von Anfang an auch nur 60% einklagen. Dann hätte man vollständig gewonnen und müsste überhaupt keine Kosten tragen. Jede Prognose über den voraussichtlichen Entscheidungsausgang ist zwangsläufig hypothetischer Natur. Trotzdem erhält man durch die obige Darstellung eine zusätzliche Entscheidungshilfe, um Pro und Contra von gerichtlichen Vergleichen einordnen zu können.

(eingestellt am 25.10.2021)

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