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Kann einem Anwohner bei einer gesundheitsgefährdenden Lärmvorbelastung seines Grundstücks noch mehr Lärm zugemutet werden?

Ausgangslage: Der Grundstückseigentümer eines Wohngebiets wohnt an einer viel befahrenen öffentlichen Straße. Sein Grundstück ist damit durch den Verkehr erheblichem Lärm ausgesetzt (sog. Vorbelastung). Nun soll in unmittelbarer Nähe des Grundstücks ein neues Baugebiet ausgewiesen werden. Dadurch wird sich der bereits vorhandene Lärm zusätzlich erhöhen. Es stellt sich daher die Frage, bis zu welcher Intensität einem Grundstückseigentümer eine weitere Verschlechterung der Lärmbelastung noch zumutbar ist.

Nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 06.04.2020 (Az. 10 D 31/18.NE) kommt es auf den Einzelfall an, welche Lärmbelastung einem Grundstückstückbesitzer zugemutet werden darf.

Soweit technische Vorschriften (z.B. die DIN 18005 "Schallschutz im Städtebau") Grenzwerte enthalten, sind diese lediglich Orientierungshilfen.

Geringe Pegelunterschiede sind regelmäßig hinzunehmen

Geringe Pegelunterschiede von 1 bis 2 dB(A) bezogen auf einen rechnerisch ermittelten Dauerschallpegel liegen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle und sollen damit auch bei einer erheblichen Vorbelastung mit Lärmimmissionen regelmäßig hinzunehmen sein. Dies soll selbst dann gelten, wenn die Vorbelastung bereits über den Orientierungswerten der DIN 18005 liegen. Dies gilt zumindest dann, wenn anderweitige bauliche und technische Möglichkeiten zur Vermeidung derartiger ungesunder Wohnverhältnisse auch nicht in Betracht kommen.

Unzumutbarkeit bei Gesundheitsgefährdung

Geringe Immissionspegelerhöhungen können aber unzumutbar sein, wenn die Lärmvorbelastung bereits so hoch ist, dass die Schwelle zur Gesundheitsgefährdung erreicht oder überschritten wird.

Das Problem hierbei ist, dass diese Schwelle zur Gesundheitsgefährdung aktuell nicht einheitlich bestimmt werden kann. In Wohngebieten wird diese Schwelle in der Regel bei Immissionspegeln von 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts angenommen. In Mischgebieten wird teils ein Aufschlag auf diese Werte angenommen. Letzteres ist allerdings umstritten, da die Gesundheit des Einzelnen allein durch einen bestimmten Lärmpegel gefährdet wird, und diese Gefährdung nicht geringer ist, bloß weil der Lärm ein Mischgebiet betrifft.

Schwelle der Gesundheitsgefährdung kann im Einzelfall überschritten werden

Aber auch in den Fällen einer gesundheitsgefährdenden Lärmvorbelastung kann nach der obigen Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen im Einzelfall eine weitere (geringfügige) Pegelerhöhung zumutbar sein. Dies soll dann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die Pegelerhöhung nur tags (und nicht nachts) auftritt und voraussichtlich nicht mehr als 0,1 dB(A) ausmacht und alternative Bebauungsmöglichkeiten (mit geringeren Lärmauswirkungen) nicht in Betracht kommen.

Im Urteil vom 26.11.2018 (Az. 10 D 35/16.NE) hatte das OVG Nordrhein-Westfalen dagegen bei eine Pegelerhöhung von 1 - 2 dB(A) bei bereits gesundheitsgefährdender Vorbelastung für unzumutbar erachtet; und zwar jedenfalls dann, wenn die Bauplanungsbehörde sich ersichtlich nicht mit den Lärmschutzbelangen der Anwohner befasst hat und nicht begründen kann, weshalb im Einzelfall die Lärmschutzbelange der Anwohner hinter die mit der Planung verfolgten Ziele zurückstehen soll.

(eingestellt am 14.07.2021)

Hinweis: Die Veröffentlichung bezieht sich auf die Rechtslage zum jeweils angegebenen Veröffentlichungsdatum und ersetzt keine Rechtsberatung.

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